Breathe

„Der Körper glaubt, es geht um Leben und Tod.“

Atmen
„Der Körper glaubt, es geht um Leben und Tod.“

Text: Matthias Köb

Fotos: Sebastian Wahlhuetter

Bei Balanceakten über hunderte Meter tiefe Schluchten stockt selbst Zusehern manchmal der Atem. Doch auch für die Highliner Thomas Spöttl und Peter Auer selbst spielt das Thema Atmen – wie beim Österreichischen Beitrag auf der EXPO in Mailand – eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit Freunden haben sie den Verein „Vienna Slackliners“ gegründet, ursprünglich vor allem um gemeinsame Materialanschaffungen zu finanzieren. Heute sehen sie sich als Interessensvertretung der Slackliner in Wien, einmal im Monat laden sie zum Highline-Workshop für Neulinge. Ein Interview über Angst, Gefahr und die Auseinandersetzung mit menschlichen Urinstinkten.

Highline Gasometer | Wahlhuetter Sebastian Photography | contact

Man kann eine Slackline zwischen zwei Bäumen im Park spannen, ihr spannt eure über Schluchten. Was denkt man sich, wenn man zum ersten Mal auf so einer Line steht?

Thomas: Meine erste Highline war eh zwischen zwei Bäumen – in zehn Meter Höhe. Irgendwie hat das gleich ganz gut funktioniert.
Peter: Ich hab lange gebraucht, um mich an die Höhe zu gewöhnen. Alles in meinem Körper hat gesagt: Lass das! Scheiß Idee!


Ist es eine scheiß Idee, sprich gefährlich?

Peter: Auf der Highline kann dir eigentlich fast nichts passieren. Du bist gesichert und hast nur Luft um dich. So gesehen ist es ein super-sicheres Umfeld.


Die meisten würden sich wohl trotzdem nicht super-sicher fühlen …

Thomas: Ich weiß, ich kann nicht sterben. Ich bin ja gesichert. Trotzdem hab’ ich jedes Mal wieder unglaublich Angst – aber warum? Ist es die Angst vor der Anstrengung, vor der Herausforderung? Oder die Angst vorm Scheitern?

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Unglaublich viel Angst klingt irgendwie nicht nach Spaß. Was fasziniert euch so am Highlinen?

Thomas: Wenn du auf dem Band stehst, ist es egal, ob die Freundin zehn Meter weiter an der Kante steht – du bist trotzdem allein. Es ist dieses Gefühl aus Angst und Alleinsein, diese Auseinandersetzung mit mir selbst und meinen Urinstinkten, die den Reiz ausmacht.

Peter: Im täglichen Leben hast du immer etwas, an dem du dich anhalten kannst. Auf der Line war, glaub ich, das erste Mal im Leben, dass ich mich wirklich nirgends festhalten konnte. Und in der Höhe ist es halt nochmal etwas ganz anderes.


Apropos tägliches Leben: Was macht jemand, der in seiner Freizeit über Schluchten balanciert, beruflich?

Peter: Ich arbeite in der Produktion bei einem Pharmaunternehmen.
Thomas: Steuerberater.


Da gibt es wohl nicht wirklich Gemeinsamkeiten zum Highlinen…

Thomas: Auch im Berufsleben gilt es, die Balance zu finden. Du brauchst ein Gleichgewicht aus Stress, Ruhe und Herausforderung. Zudem hab ich gerade beim
Highlinen gelernt, die Ruhe zu bewahren und dennoch eine gewisse Grundanspannung zu halten.

Peter: Man lernt, vieles gelassener zu sehen. Auch im Alltag oder bei der Arbeit funktioniert vieles am besten, wenn man ruhig bleibt. Und natürlich ist es auch ein Ausgleich. Man lässt den ganzen Alltagsstress zuhause. Der Stress beim Highlinen ist positiver Stress. Auch wenn du nach einem intensiven Wochenende komplett fertig und zerschunden bist, sitzt du am Montag mit einem positiven Gefühl in der Arbeit.

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Was war eure höchste bzw. längst Line?

Thomas: So 600 Meter Fallhöhe. Was die Länge angeht: Eine 60-Meter-Line kann ich sicher gehen.

Peter: Die Höhe weiß man oft gar nicht, weil man im Normalfall nicht nach unten lasert – es ist ohnehin egal, denn entweder es ist verdammt hoch, oder nicht hoch genug. Meine längste war wohl so 110 Meter.


Wie bereitet ihr euch auf so eine Line vor?

Thomas: Das kann Peter ganz gut beantworten. Der versteckt sich immer und marschiert dann drüber als ob nichts wäre …


Bitte.

Peter (lacht): Ich versuche, mich schon vorher mit der Situation auseinanderzusetzen. Was sehe ich? Wo schau ich hin? Was für Musik höre ich? Musik kann sehr hilfreich sein, weil sie einen vom Thema wegholt. Es ist ein Vorteil, wenn man nicht zu viel denkt und sich auf sein Gefühl verlässt. Irgendwann entsteht ein Flow-Gefühl, man kommt in einen Tunnel, wo man nicht mehr denkt, sondern nur noch macht…

Thomas: …und dann denkt man, jetzt hab ich es geschafft, jetzt bin ich im Tunnel – und schon ist er wieder weg!

Peter: Konzentration ist eine arge Spielerei. Man kann das auch im Alltag feststellen: Überleg mal, wie viel Gedanken dir kommen, wenn du versuchst, eine Minute lang an eine ganz bestimmte Sache zu denken.

Thomas: Auch die Atmung spielt eine wichtige Rolle. Ich versuche, schon im Vorfeld meinen Kopf mit Sauerstoff anzureichern. Wenn du keine Luft im Hirn hast, funktioniert gar nichts.

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Gutes Stichwort. Der österreichische Pavillon bei der EXPO in Mailand steht unter dem Motto BREATHE AUSTRIA. Welche Rolle spielt die Atmung beim Highlinen?

Thomas: Ich hatte große Probleme damit. Zuerst hab’ ich zu wenig geatmet und Seitenstechen gekriegt, dann hab’ ich zu viel geatmet und Herzrasen gekriegt. Irgendwann bin ich drauf gekommen: Durch die Nase einatmen, durch den Mund ausatmen – das funktioniert für mich am Besten.

Peter: Gerade wenn ich ins Straucheln komme, merke ich, jetzt habe ich zu lange nicht geatmet. Dann spiele ich Lokomotive, ich atme bewusst und sehr laut aus. Das mache ich aber nur, wenn ich wirklich am Anschlag bin. Wenn ich nur mit 98 Prozent arbeiten muss, muss ich mich nicht mehr so stark auf die Atmung konzentrieren.

Thomas: Ich habe früher den Fehler gemacht, dass ich durchgehend Lokomotive gespielt und Druck gemacht hab. Das ist dann aber kein schönes Ankommen. Teilweise hatte ich sogar Brechreiz, weil ich über Puls gegangen bin.


Angenommen jemand schafft im Park problemlos eine 20-Meter-Line. Schafft er das auch auf der Highline?

Peter: Wer noch nie Zeit in der Höhe, also einer Felswand oder ähnlichem, verbracht hat, wird sich vermutlich schwer tun. Der Kopf weiß zwar, dass nichts passieren kann – aber der Körper nicht.

Thomas: Es ist ein ziemlich alter Instinkt, dass man sich nicht Situationen aussetzt, in denen man irgendwo runter fallen kann. Dazu kommt: Wenn du auf einer Line knapp über dem Boden bist, kannst du dich immer orientieren. Bin ich gerade? Bin ich schief? In der Höhe fehlt dir diese Orientierung, du kannst dich nur noch auf dein Gefühl verlassen.

Peter: Viele machen dann zwar instinktiv das richtige, übertreiben es aber völlig. Obwohl eigentlich kleine Bewegungen reichen würden, machen sie riesige.

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Es gibt ja auch Highliner, die ungesichert gehen. Ist das dumm?

Peter: Zum Teil kennt man die Leute, die das machen. Wenn die sagen, sie können das Ding zu 100 Prozent catchen (Anm.: sich an der Line festhalten), dann glaubt man ihnen das. Natürlich kann immer etwas passieren, aber problematisch sind eher diejenigen, die das für die Medien oder für Facbebook machen, um zu zeigen: Schaut her, wir sind die wildesten Hunde!

Thomas:
Grundsätzlich respektiere ich es, wenn es jemand aus den richtigen Beweggründen macht, sprich für sich selbst und ohne Publikum oder Kamera. Du hast bei einem Free-Solo dein Leben komplett in deiner Hand, das ist ein irres Gefühl der Kontrolle. Da lebend raus zu kommen, gibt dir einen unglaublichen Kick. Schon wenn du gesichert auf die Line gehst, glaubt der Körper es geht um Leben und Tod. Deshalb fahren Leute ja auch Achterbahn, auch da kommt das Adrenalin daher, dass der Körper glaubt, es geht um´s überleben… !

(Anm. von Thomas: „Bitte schreib dazu, dass ein Free-Solo für mich kein Thema ist – sonst liest das noch meine Mama und glaubt, ich mach sowas auch!“.)