Breathe

Stadt als Naturraum

Ausatmen
Stadt als Naturraum

Text: Sandra Pfeifer

Fotos: EXPO AUSTRIA, TEAM.BREATHE.AUSTRIA

Ohne Luft kein Mensch. Der österreichische Pavillon Breathe Austria macht die Bedeutung unseres wichtigsten Nahrungsmittels auf der Expo Mailand einmal mehr deutlich. Doch die Luft wird immer dünner: Mit einem erwarteten Bevölkerungszuwachs von 70% in den Städten bis 2050 nehmen nicht nur die Grünhausgase stetig zu, sondern auch der Bedarf an sauberer Luft und Energie. Warum der Pavillon ein Wegweiser zur grünen Stadt der Zukunft ist und Pflanzen die eierlegende Wollmilchsau, erklärt der Leiter der Vegetationstechnologie Dipl. Ing. Bernhard Scharf vom Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau an der Universität für Bodenkultur in Wien.

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© TEAM.BREATHE. AUSTRIA 2

Wie gewappnet sind wir Städter für eine saubere Zukunft?

Durch die weltweiten Klimaszenarien wissen wir, was uns erwartet. Das aktuelle Downscaling Modell für Wien sagt für 2100 eine Jahresdurchschnittstemperatur von 15 Grad Celsius vor. Jetzt haben wir knapp über 10. Das ist aber nur möglich wenn wir das globale Temperaturziel von zwei Grad einhalten. Bei der Bauphysik von Gebäuden sind wir allerdings an einer Grenze angekommen. Das größte Potential bietet der Außenraum mit grüner Infrastruktur, was weltweit am häufigsten als Lösungsansatz genannt wird.

 

Da kommen einem idyllische Bilder vom urbanen grünen Dächermeer in den Sinn. Ist so etwas machbar?

Ja. Grüne Infrastruktur kann man mittlerweile planbar einsetzen. Dachbegrünungen haben, flächig eingesetzt, eine sehr hohe Wirkung: Sie können an der Oberfläche gleich einmal sehr viel durch Photosynthese umsetzen, also uns den lebensnotwendigen Sauerstoff bieten. Es geht im Prinzip immer um Energie: Man kann sie nicht vernichten, aber umwandeln. Und das machen Pflanzen seit Millionen Jahren ganz autark und ohne Mikrochip: Wasser speichern und verdunsten. Das bringt uns Luftfeuchtigkeit und die können wir an heißen Tagen sehr gut gebrauchen. Wenn man sich überlegt, dass ungefähr 100 bis 150m2 einer Living Wall die Verdunstungsleistung von einer 100jährigen Buche an einem Tag, ca. 500 bis 700 Liter Wasser erbringt, sind Pflanzen in Wahrheit die eierlegende Wollmilchsau.

 

Was sind die Herausforderungen bei der Umsetzung?

Je dichter die Städte und je höher die Gebäude, um so größer muss die Proportion der Fassadenflächen im Bezug auf die Gesamtoberfläche der Stadt sein. Man spricht vom Leaf Area Index: Blattfläche pro Quadratmeter Grundfläche. Die ist beim Pavillon natürlich irrsinnig hoch, weil wir diese optimiert haben. In der Stadt wird es schwieriger. Da müsste man sie eben durch Dachgärten oder vertikal schaffen. Nehmen wir als Beispiel einen Wohnungsbau, wo auf die Grundfläche sagen wir 1200 Menschen treffen, dann bräuchte man ungefähr die zehnfache Blattfläche. Die Technologien zur Umsetzung sind prinzipiell da. Die europäische Kommission hat bereits letztes Jahr die Strategie für grüne Infrastruktur verabschiedet. Ich hoffe, es scheitert nicht an den Kosten.

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Breathe Austria versorgt die Besucher mit Luft in Echtzeit. Könnte sich eine Stadt künftig auch ihren eigenen Luftbedarf sichern?

Hm, das wird eher schwierig. Mit ganz viel Vertikalfläche vielleicht …


Welche Schritte könnte man bereits konkret für eine Klimawandelanpassung setzen?

Die neuralgischen Punkte identifizieren, das heißt, wo kann man grüne Infrastruktur einsetzen, um Effekte zu erzielen? In Wien sind das Hotspots wie die Innere Stadt, 2. Bezirk, Gewerbezentrum Inzersdorf. Um unseren thermischen Komfort zu erhalten, müssen wir für die Begrünung ausreichend Zeit einplanen. Bei uns glaubt man immer, weil wir eine Alpenstadt sind, ist es nicht so schlimm. Das ist ein Trugschluss.

Warum?

Weil es um die zentrale Frage geht, womit und wie nachhaltig wir Kühlenergie produzieren. Klimaanlagen heizen den städtischen Raum auf. Der Pavillon ist diesbezüglich schon eine Vision für die Stadt der Zukunft, weil er sich durch seine Vegetation selbst kühlt.

© TEAM.BREATHE.AUSTRIA

 

Was bringen uns grünere Städte wirklich?

Der Wiener Architekt Harry Glück spricht vom Appell der Natur. Weil das Empfinden und die Lebensqualität in der Stadt oft nicht dem entspricht, was wir suchen. Schafft man es, diese im urbanen Kontext dezentral anzubieten, sodass die Leute ihre Erholung in der Nähe konsumieren, dann resultiert das in hoher Lebensqualität, Zufriedenheit, weniger Verkehr. Man braucht intelligente Lösungen, die Synergien zwischen Architektur und Natur schaffen. Der Pavillon zeigt das.

Kann man soviel Grün in die Stadt bringen, dass wir uns nicht mehr auf die Natur draußen verlassen müssen?

Einen Wald und seine Leistungen für unser Überleben und unsere Atmosphäre können wir nicht ersetzen. Aber den vermeintlichen Widerspruch von Stadt und Natur aufheben und die Stadt als Naturraum begreifen: Mensch ist Natur.