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„Zum Feinschmecker müssen wir uns entwickeln“

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„Zum Feinschmecker müssen wir uns entwickeln“

Text: Stephan Wabl

Fotos: Nicole Heiling

Foodtrendforscherin Hanni Rützler über unterschätzte Insekten, die Küche der Zukunft, Essen aus dem 3D-Drucker und wann ihr das letzte Mal die Spucke weggeblieben ist.

Als Hanni Rützler im August 2013 den ersten In-Vitro-Burger der Welt serviert bekam, war die international renommierte Foodtrendforscherin durchaus angetan. Er habe ihr geschmeckt, hätte aber noch Salz vertragen, so die gebürtige Bregenzerin über das ungewöhnliche Esserlebnis. Denn für Rützler schließen sich Genuss und Technologie nicht aus. Im Gegenteil: Beides sei notwendig, um den Planeten in Zukunft ernähren zu können, erklärt sie im Gespräch.

Frau Rützler, was haben Sie denn heute zu Mittag gegessen?
Ich habe mir einen Mönchsbart gemacht – ein Kraut, das wie gebündelter Schnittlauch aussieht. Dazu ein bisschen Olivenöl, Frischkäse und Brot.

 

Wann ist Ihnen eigentlich das letzte Mal beim Essen die Luft weggeblieben?
Ich würde eher sagen, wann mir das letzte Mal die Spucke weggeblieben ist. Das war vor kurzem ein Tee. Ich habe mir in Wien am Graben ein paar neue Teesorten gekauft, davon hat mir eine neue Mischung mit Lakritze besonders gut geschmeckt. Das hat mich überrascht, weil ich nicht gedacht hätte, dass es mir schmeckt.

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Wenn sie so viel mit Essen und Food-Trends zu tun haben, finden Sie dann überhaupt noch die Zeit, zu genießen?
Ich erkenne an meinem Essverhalten, wie es mir geht. Ich reise und arbeite viel, und das Essen ist für mich ein Indikator, wie schnell ich unterwegs bin und wann ich gegenlenken muss. Für mich war es in den letzten Jahren eine Errungenschaft, dass ich mir die Zeit nehme, mittags zu essen und nicht zu warten, bis mich der Heißhunger überkommt.

 

Die diesjährige Expo steht unter dem Motto „Feeding the Planet – Energy for life“. Welche Innovationen im Food-Bereich werden in Zukunft unser Leben beeinflussen?
Fleisch wird eines der großen Themen der Zukunft sein, da es dabei sehr stark um die Themen Nachhaltigkeit und natürliche Ressourcen geht. Das ist auch der Grund, warum alle eiweißreichen Alternativen zu Fleisch verstärkt in den Fokus rücken werden. Da geht es um Insekten, In-Vitro-Fleisch oder Fleischersatzprodukte. Ich halte letztere allerdings nur für eine Übergangslösung, weil viele Leute vorerst keine Idee haben, was sie essen sollen, wenn sie das Fleisch weglassen.

Aber wie kann man den Planeten und acht Milliarden Menschen in Zukunft ernähren?
Durch Vielfalt und Wertschätzung. Wir dürfen nicht ausblenden, dass wir gut ein Viertel der Nahrungsmittel wegschmeißen. Wir sind eine Filetgesellschaft geworden, die einen engen Begriff von Essen hat. Ein Teil der Antwort liegt sicher in der Technologie – Stichwort In-Vitro-Ernährung. In unserem Kulturraum ist dieser Zugang derzeit aber noch fast undenkbar, in anderen Gesellschaften wird diese Innovation jedoch durchaus schon positiv aufgenommen. Auch Insekten sind eine spannende Alternative, die in allen Essenskulturen – mit Ausnahme von Europa und den USA – einen ganz normalen Platz in der Ernährung einnehmen.

 

Essen Sie Insekten?
Ich habe in meinem futurefoodstudio gerade einen Schwerpunkt zu diesem Thema. Zum Thema Nachhaltigkeit haben Insekten sehr viel zu bieten, da sie sehr effizient in der Eiweißproduktion und in der Nährwertzusammensetzung sehr wertvoll sind. Ob sie in Zukunft auch kulinarisch wirklich interessant werden, hängt von der Auswahl der Arten ab, die wir für den menschlichen Konsum züchten werden. Noch ist die diese auf ein paar Arten beschränkt.

Produkte aus 3D-Druckern werden immer beliebter. Welche Auswirkungen wird diese Technologie auf unsere Lebensmittel haben?
Ich finde es spannend und toll, dass man sich bequeme Schuhe nach Maß ausdrucken kann. Aber im Essbereich habe ich diesbezüglich kaum interessante Projekte gesehen. Die Möglichkeit, sich Nudeln oder Schokolade auszudrucken, fällt für mich unter Design. Das ist lustvoll und zu speziellen Anlässen witzig. Warum man sich aber ganze Menüs ausdrucken sollte, konnte mir bisher noch niemand erklären. Kreativer finde ich den Zugang, Kugeln aus Getreidemehl oder Samen auszudrucken, diese zu wässern und daraus Pflanzen, Salate, Kresse oder Keimlinge wachsen zu lassen.

 

Wie wird sich in diesem Prozess unsere Küche verändern?
Die Küche wird auf jeden Fall mobiler werden, da sie aufgrund der Veränderung der Haushaltsgrößen nicht mehr nur privat stattfindet, sondern sich zunehmend am Konzept der „Third Places“ orientiert – also Räume außerhalb der Wohnung und des Arbeitsplatzes. Die kleinen Stadtwohnungen werden immer teurer und es lohnt sich, wenn nicht jede Wohnung eine eigene Küche hat. Nicht nur finanziell, auch sozial, weil Kochen – Stichwort Gemeinschaftsküchen – sehr kommunikativ sein kann.

Die Art zu kochen wird sich ebenfalls verändern. Im Moment wird versucht, mangelndes Koch-Know-how durch Hightech zu kompensieren. Das funktioniert über Haushaltsgeräte, die direkten Zugang zu Rezepten haben, oder über Oberflächen, die erkennen, welche Lebensmittel auf ihnen verarbeitet werden. Da gibt es sehr viele technische Fantasien. Im Gegensatz dazu gibt es ganz starke Low-Tech-Entwicklungen, die vorwiegend energieautarkes Kochen forcieren.

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Gemeinschaftsküchen im öffentlichen Raum: Wie kann man sich das vorstellen?
Gastronomen stellen ihre Küchen und Lebensmittel für Kunden und Gäste zur Verfügung. Dazu wird auch das Wegräumen und Abwaschen als Dienstleistung angeboten. Ansatzweise gibt es so etwas bereits. Das Recipease in London – ein Restaurant-Projekt von Jamie Oliver – wäre ein Beispiel. Dort kann man entweder im Restaurant oder im Kaffeehaus Essen gehen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, selber zu kochen, mit Unterstützung oder ohne, oder man kann einfach nur zusehen beim Kochen und das Essen mit nach Hause nehmen. Hier sind die Grenzen fließend und spielerisch. Auch das Community Cooking-Projekt der Caritas im neuen Kulturzentrum in der Ankerbrotfabrik in Wien ist ein schönes Beispiel.

 

Bei der Expo Austria geht es auch um Ein- und Ausatmen – also um Genuss. Essen scheint jedoch immer mehr mit Verboten und Ängstlichkeit verknüpft zu sein.
Mir gefällt das Motto Einatmen und Ausatmen in diesem Zusammenhang, weil es uns das Hier und Jetzt und eine Normalität vor Augen führt. Wir brauchen sowohl den Sauerstoff als auch die Nahrung als Lebensquelle. Nahrung ist aber nicht nur eine wissenschaftliche Quelle an Nährstoffen sondern auch eine kulturelle Angelegenheit und ein großes Stück Lebensqualität. Das Genießen will aber gelernt sein, zum Feinschmecker müssen wir uns entwickeln. Für mich ist daher Geschmacksmanagement auch eine ganz wichtige Kulturtechnik für unser Jahrtausend. Denn der Geschmack hat einen mächtigen Einfluss auf unsere alltäglichen Entscheidungen. Es lohnt sich daher zu überlegen, was man im Alltag isst und woher unser Essen kommt.

Was würden sie mir empfehlen, wie ich Genuss und Nachhaltigkeit am besten verbinden kann?
Jeder Mensch sollte sich überlegen, wie er am leichtesten einen Zugang zum Genuss findet. Man kann sich zum Beispiel die Frage stellen, bei welcher Mahlzeit es mir am leichtesten fällt zu genießen. Daraus folgen auch die Fragen, wo ich einkaufe und was ich dort kaufe. Auf dem Markt kaufe ich anders ein als im Supermarkt. Ein weiterer Zugang ist es, die Produkte zu vergleichen. Der Gaumen braucht Informationen und die Freude an der Auseinandersetzung mit Geschmack. Ich könnte zum Beispiel mit Schokolade beginnen und nicht die günstigste kaufen sondern mich hocharbeiten bis zur besten. Denn durch den Qualitätsgewinn lerne ich auch, kleinere Mengen zu genießen.

Hanni Rützler, geboren 1962 in Bregenz, ist eine der international renommiertesten Foodtrendforscherinnen. Die Ernährungswissenschaftlerin betreibt in Wien das futurefoodstudio und hat zahlreiche Bücher über Esskultur geschrieben. Zuletzt erschienen: „Muss denn Essen Sünde sein? Orientierung im Dschungel der Ernährungsideologien”.