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Haus aus Stroh

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Haus aus Stroh

Text: Matthias Köb

Fotos: Jana Marie Sabo, Adolf Bereuter

Technologie, Innovation, Kultur, Tradition und Kreativität – die Themen der EXPO haben für die Arbeit des Vorarlberger Architekten Georg Bechter eine ebenso große Bedeutung wie der Rohstoff Holz. Bechter kombiniert sie auf der Suche nach ungewöhnlichen Lösungen. Er selbst lebt in einem ehemaligen Stall, für einen Kunden hat er ein Strohhaus geplant. Im Interview erklärt er, warum dem Vorarlberger sein Haus so wichtig ist, welche Herausforderungen im Wohnungsbau warten und warum Nachhaltigkeit nur zum Teil mit Dämmwerten zu tun hat.

© Adolf Bereuter

Jährlich kommen rund 30.000 Architektur-Touristen nach Vorarlberg, die Süddeutsche Zeitung schreibt über Vorarlberg: „Drei Silben und schon kriegen deutsche Architekten leuchtende Augen“, und bereits im Jahr 2000 kürte das Londoner Wallpaper* Magazine das „Ländle“ zum „most progressive part of the planet when it comes to new architecture“. Das hört man als Vorarlberger Architekt sicher gerne?

Bechter: Innerhalb der Architekturszene ist das gar nicht so ein großes Thema wie in der Außenwahrnehmung – und da gibt es dann natürlich viele Schulterklopfer. Aber es hat schon seine Berechtigung, dass darüber gesprochen wird. Wir haben gerade im Bereich der Einfamilienhäuser eine Qualität, die man sonst nur schwer findet – vor allem in dieser Dichte. Wenn man hier in ein Dorf geht, findet man kaum einen architektonischen Schandfleck. Das liegt aber auch am Handwerk und an dem, was dem Vorarlberger an sich wichtig ist.

Ist ihm sein Haus besonders wichtig?

Wenn man sich beispielsweise die alten Bregenzerwälder Häuser, also das traditionelle „Wälderhaus“ anschaut: Die Menschen waren arm, hatten teilweise kaum Kleidung, aber haben sich riesige Häuser mit hohem Standard gebaut. Das Haus war immer schon viel Wert. Ich habe früher in Stuttgart gelebt, dort spricht man halt über das Auto. Die wohnen teilweise in furchtbaren Häusern, aber wenn man die Garage aufmacht…wow! Für uns ist das oft unverständlich, weil es hier ein großes Bewusstsein für Handwerk und Architektur gab und gibt. Das sind einfach kulturelle Prägungen

In Vorarlberg spielt der Holzbau seit jeher eine sehr große Rolle. Mittlerweile scheint er auch überregional an Bedeutung zu gewinnen. Liegt die Zukunft im Holzbau?

Das liegt natürlich daran, dass der Rohstoff praktisch vor der Türe wächst und man von klein auf lernt, was Holz leisten kann. Wir sind einfach eine Spezies, die sich durch ihre Umgebung prägen lässt. Großräumiger gesehen hat der Holzbau lange einen Abwärtstrend erlebt, man kannte die alten Häuser, in denen man im unteren Stockwerk jeden Schritt von oben gehört hat. Das wollte keiner mehr. Mit der neuen Architektur und neuen Konstruktionsmethoden hat sich das geändert. Darum kommt man heute am Rohstoff Holz fast nicht mehr vorbei, zumindest wenn man ökologisch bauen möchte. Und gerade in diesem Bereich werden die Menschen immer sensibler.

Stichwort Ökologie: 2014 haben Sie in Vorarlberg ein Haus geplant, dessen tragende Wände aus Strohballen, Lehm und Kalk bestehen – also vollständig kompostierbar sind. Provokant gefragt: Wände aus Stroh, ist das nicht etwas instabil?

Die Wände sind 1,20 Meter dick und bestehen aus gestapelten Strohballen, die schon recht gut gepresst sind. Zwar setzt sich das noch um 15 bis 20 Zentimeter, allerdings innerhalb von drei bis sechs Wochen. Danach bleibt es ruhig und man kann weiterbauen. Die Ballen werden innen mit Lehm und Außen mit Kalk verputzt.

(c)Jana Marie Sabo3
©Jana Marie Sabo2

 

Ein Holzhaus baut der Zimmermann. Wer baut ein Strohhaus?

Man sucht sich Leute, die Spaß daran haben. Es war auch so, dass sich die Angebote im Preis bis zu 100 Prozent unterschieden haben. Weil die einen gerechnet haben, was alles schiefgehen könnte und die anderen einfach gesagt haben: Das klingt spannend, das interessiert mich, das will ich machen.

Wie haben die Bauherren auf diesen Vorschlag reagiert?

Sie wollten etwas ganz ökologisches, hatten aber eigentlich kein Budget, das eine solche Bauweise zulässt – denn Qualität kostet eben. Ich hab ihnen dann vom einem Strohhaus erzählt, das ein Schweizer Architekt vor rund zehn Jahren gebaut hat und gesagt: Wenn es noch steht, schaut es euch an und wenn ihr ganz freaky drauf seid, wäre das eine Möglichkeit. Das haben sie gemacht und waren total begeistert. Diese ökologischen Baumaterialien schaffen eine unglaubliche Aura und ein Raumklima, in dem man sich extrem wohlfühlt. Wenn man sich ansieht, wie leicht man eine solche Umgebung schaffen kann, finde ich das einfach nur lässig. Ich habe früher oft gegen Künstlichkeiten am Bau gewettert, mittlerweile denk ich mir: Wenn jemand in einem Plastikhaus sitzen will, dann soll er.

Ist Nachhaltigkeit nicht auch eine Aufgabe der Architekten?  

Ja, aber da ist Ökologie nur ein Thema. Ökologie ist für jeden verständlich, das setze ich voraus und ist ein must have, über das ich gar nicht mehr diskutiere. Nachhaltigkeit geht aber über Dämmwerte hinaus, denn genauso wichtig ist auch die Wertschöpfungskette – dass ich schaue, was in der Region verfügbar ist und nicht irgendwelche Billiganbieter nehme. Nicht zuletzt gibt es auch einen sozialen Aspekt von Nachhaltigkeit in der Architektur: Wir gestalten Lebensräume und Landschaften, dafür braucht man ein gutes Gespür, denn das hat unter Umständen Auswirkungen auf die nächsten 50 bis 100 Jahre.

Ob ein Bau in 50 Jahren noch den Anforderungen entspricht, lässt sich aber nur schwer voraussehen?

Natürlich ist das auch viel Einschätzung und wird sich erst zeigen. Aber ich bin überzeugt – und das zeigt auch die Zeitgeschichte – dass eine gut durchdachte Sache die Zeiten überdauert. Was heute gut geplant ist, ist oft auch Jahrzehnte später noch ein guter Wohnraum. Wenn ein Objekt mehrere Generationen überlebt, dann ist das richtige Nachhaltigkeit, da ist alles andere nur ein Hauch dagegen. Diesbezüglich stehen wir aber gerade im Wohnungsbau erst am Beginn der Diskussion.

Das heißt?

Bei vielen Wohnblöcken sehen die Grundrisse alle gleich aus. Ich finde, wir sollten individuellere Lösungen finden, schließlich haben nicht alle Menschen die gleichen Bedürfnisse. Momentan traut man sich aber noch viel zu wenig, weil private Wohnbauträger Angst haben, nicht sofort einen Mieter zu finden. Ja, vielleicht braucht man ein halbes Jahr länger, um einen Mieter zu finden – dafür hat man dann für die nächsten 20 bis 30 Jahre einen zufriedenen Mieter anstatt alle vier bis fünf Jahre einen neuen – inklusive Sanierungsmaßnahmen.

Wenn man sich weitere Projekte von Ihnen anschaut, merkt man schnell, dass Sie selten gewöhnliche Lösungen bevorzugen. Ihr eigenes Haus ist ein ehemaliger Stall und besteht eigentlich nur aus einem Raum. Wie gehen Sie ein neues Projekt an?

Ich will die Akteure kennen lernen, möglichst mit Tagesablauf. Was mögen sie, was macht ihnen Spaß, was schätzen sie, was für Gewohnheiten haben sie, etc. Wenn einer zu mir kommt und mir sagt, er möchte einen großen Raum, dann ist das schön und gut – ich will aber kapieren, warum er das möchte. Vielleicht will er gar keinen großen Raum, sondern nur die Eigenschaften, die er diesem zuordnet, etwa Freiheit oder eine gute Aussicht. Hinzu kommen weitere Faktoren wie das Baugrundstück oder die Umgebung. Das alles wirft man dann in eine Mühle und mahlt so lange, bis das richtige Setting herauskommt. Und wenn ich denke, dass eine ungewöhnliche Lösung für spezifische Anforderungen besser ist, warum soll ich dann eine Standardlösung planen?

©Jana Marie Sabo

Strohhaus_2014 © Adolf Bereuter